Was heißt eigentlich queer? (2024)

Kreis HeinsbergInterview

Der Verein Vielfalt mit Herz setzt sich für die Interessen queerer Menschen ein. Doch was bedeutet queer? Und wie schätzt der Vorsitzende die Situation für queere Menschen im Kreis Heinsberg ein?

Heinz Küppers-Schilling ist einer der Vorsitzenden des Vereins „Vielfalt mit Herz“.Foto: Mirja Ibsen

  • Benjamin WirtzMultimedia-Redakteur

Heinz Küppers-Schilling ist im Vorstand des Vereins „Vielfalt mit Herz“, der sich für die Interessen und Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Inter-Menschen sowie non-binären Menschen im Kreis Heinsberg einsetzt. Im Gespräch mit unserem Redakteur Benjamin Wirtz erklärt er, wie der Verein vorgeht und was die queere Community ausmacht.

Sie sind Vorsitzender des Vereins „Vielfalt mit Herz“, der sich für die Interessen von queeren Menschen einsetzt. Was bedeutet queer?

Heinz Küppers-Schilling: Queer beinhaltet alles, was nicht heterosexuell ist. So könnte man das beantworten. Für mich bedeutet queer aber auch: mehr Freiheit, mehr bunt, mehr Leidenschaft.

Man spricht von der LGBTIAQ+-Community (lesbisch, gay, bisexuell, transgender, intersexuell, asexuell, queer, plus). Wenn queer ein Oberbegriff ist, könnte man doch auch von der Q-Community sprechen, oder?

Küppers-Schilling: Wir verfangen uns jetzt in Begrifflichkeiten. Im Endeffekt sind die Begrifflichkeiten für diejenigen wichtig, die es betrifft. Aber ich möchte gern wegkommen von diesem Schubladendenken.

Schwul, lesbisch und bi sind sexuelle Orientierungen. Trans- und Intersexualität sind Geschlechtsidentitäten. Sind das nicht unterschiedliche Dinge? Wieso wird das in einer Community zusammengefasst?

Küppers-Schilling: Was uns verbindet, ist, dass wir vom Mainstream als „anders“ betitelt werden – als nicht so, wie man es früher als „normal“ bezeichnet hätte – wobei ich den Begriff „normal“ ganz furchtbar finde, weil im Endeffekt alles normal ist.

Die Regenbogenfahne ist ein Symbol der LGBTIAQ+-CommunityFoto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa

Wie viele queere Menschen leben im Kreis Heinsberg?

Küppers-Schilling: Innerhalb von Deutschland identifizieren sich zwischen fünf und zehn Prozent als LGBTIAQ+, also zwischen anderthalb und zwei Millionen Menschen. Runtergerechnet auf den Kreis Heinsberg wären das dann etwa 24.000. Mein Gott, wir haben noch längst nicht alle im Verein, merke ich gerade.

Wieviel Mitglieder hat Ihr Verein denn?

Küppers-Schilling: Wir haben im Moment zwischen 90 und 100 Mitglieder. Es kommen etwa ein bis zwei Personen in der Woche hinzu, in manchen Wochen auch keine.

Sind alle Vereinsmitglieder queer?

Küppers-Schilling: Nein, auch nicht-queere Menschen unterstützen uns. Es ist unheimlich schön zu sehen, dass auch nicht-queere Menschen toll finden, was wir machen.

Erfahren hom*osexuelle denn im Kreis Heinsberg heutzutage noch Hass und Diskriminierung?

Küppers-Schilling: Bevor ich den Verein mitgegründet habe, hatte ich nicht das Gefühl, dass Diskriminierung stattfindet. In meiner Jugend schon – sehr stark sogar, aber danach habe ich das entweder nicht an mich herankommen lassen oder nicht gesehen. Jeder legt Diskriminierung für sich anders aus. Mir hat jetzt nochmal jemand gesagt, der Begriff „schwul“ wäre diskriminierend. Das hätte ich nie so empfunden. „Schwuchtel“ wäre für mich diskriminierend, aber „schwul“ nicht. Doch es gibt hom*osexuelle Männer, die auch das als Diskriminierung empfinden. Darum muss man immer schauen, was der einzelne als Diskriminierung empfindet. Ich glaube, das ist für jeden eine Auslegungssache, da gibt es keine Richtlinien.

Aber Sie persönlich haben keine Diskriminierung erlebt?

Küppers-Schilling: Ich habe mich nie so stark diskriminiert gefühlt, vielleicht weil ich mich abgehärtet habe. Im Nachhinein sehe ich einige Situationen, die man als Diskriminierung auslegen könnte, wenn man das wollte. Ich versuche aber immer, Verständnis für beide Seiten zu haben.

Bekannt ist Heinz Küppers-Schilling auch als die Gräfin Henriette von Küppersbusch.Foto: Benedicte Bauer

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Wie vertritt Ihr Verein die Interessen von queeren Menschen?

Küppers-Schilling: Wir sorgen zum Beispiel mit Themenabenden für Aufklärung. Wir hatten einen Themenabend zu Transsexualität oder zu Religion und Queer. Wir machen bald einen Themenabend zu sexuell übertragbaren Krankheiten und planen noch weitere. Wir treten auch immer wieder mit Bürgermeister:innen in Kontakt, sodass sich in den Kommunen etwas verändert, dass die Kommunen ganz klar Stellung für eine freiere Denkweise beziehen – und das nicht nur für queere Menschen. Wir gehen generell gegen Diskriminierung vor.

Ich gehe für Schulprojekte auch viel in Schulen. Schüler:innen handeln immer noch stark diskriminierend, was ihnen aber gar nicht bewusst ist. Ich glaube, oft findet Diskriminierung statt, weil Menschen nicht gut genug aufgeklärt sind. Es ist ja nicht so, dass ich, bloß weil ich schwul bin, beim Sportunterricht in der Umkleide auf jeden meiner Klassenkameraden sexuell reagiere. Das ist eines der Vorurteile, die existieren. Da muss man mit Sichtbarkeit und Aufklärung gegenwirken.

Es macht den Eindruck, dass Queerness in der Öffentlichkeit sehr präsent ist. Werbung ist immer öfter queer, die Beiträge beim diesjährigen Eurovision Song Contest waren zum großen Teil queer und in den Sozialen Medien gibt es viele queere Influencer. Nehmen Sie das auch so wahr?

Küppers-Schilling: Ja, es gibt immer mehr. Früher kannte man Hape Kerkeling, Dirk Bach und Hella von Sinnen, dann hat sich lange Zeit gefühlt gar keiner geoutet. Und plötzlich kam ganz viel auf einmal. Die ganzen Regeln, die man über Jahrzehnte auferlegt bekommen hat, sind jetzt freier geworden. Dadurch trauen sich die Menschen natürlich mehr, das auch zu zeigen. Ich höre immer wieder: „Das ist jetzt so eine Modeerscheinung“ oder „Uns kotzt es an, dass so viel darüber gesprochen wird“. Aber ich bitte Euch: Wir dürfen endlich mal! Also müssen wir uns auch das Recht nehmen, zu zeigen, was unsere Community alles bewegen kann und wer wir sind.

Die rechten Parteien erstarken, der Islamismus wird mancherorts offener gezeigt, wie etwa bei der Kalifat-Demo in Hamburg – zwei Beispiele für Gruppen, die gegen die Rechte von queeren Menschen sind. Wie schauen Sie mit Blick auf die queere Community in die Zukunft?

Küppers-Schilling: Ich spreche oft mit Menschen, die die jetzige Entwicklung mit Angst sehen und nicht wissen, wie die Zukunft sich entwickeln wird. Ich will es nicht verallgemeinern, aber es kommen oft Jugendliche auf mich zu, die anderen Religionen oder Staaten angehören und die massive Probleme in der Familie haben. Es mag gewiss auch deutsche Familien geben, die römisch-katholisch oder evangelisch getauft sind, die was gegen die hom*osexualität der Tochter oder des Sohnes haben. Doch es wird mit mehr Gewalt reagiert, wenn sie aus dem Ausland stammen oder andere Konfessionen haben.

Sind Sie also eher optimistisch oder pessimistisch?

Küppers-Schilling: Ich muss optimistisch sein. Wenn ich nicht an das Gute im Menschen glaube, dann würde sich die Arbeit nicht lohnen. Von Rückschlägen dürfen wir uns nicht runterziehen lassen. Deswegen bin ich immer dafür, positiv in die Zukunft zu schauen. Ich möchte irgendwann mal in einer Gesellschaft leben, wo das alles überhaupt keine Bedeutung mehr hat.

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Heinz Küppers-Schilling hat im Gespräch mit dem Gender Gap gegendert. Um das zu kennzeichnen, sind die Wörter im Text mit einem Doppelpunkt versehen.

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